Elemental
Kapitel 2 - Teil 2
Die
Fenster im Vorzimmer waren geöffnet worden und ein sanfter Luftzug
fuhr in Janas Haare als sie aus dem Prüfungsraum trat. Torben hatte
sich an eines der Fenster gestellt und schien mit mäßigem Interesse
die Wiese vor dem Schloss zu betrachten. Die Sonne stand noch hoch am
Himmel, es würde wohl noch ein paar Stunden bis zum Sonnenuntergang
dauern. Horge war verschwunden. Er hatte sich beeilt den Prüfungsraum
vor den anderen zu verlassen und war nirgends zu sehen.
Jana
setzte sich auf einen der bereitgestellten Stühle und legte den Kopf
in den Nacken. Eine wilde Jagt fand auf der Deckenmalerei über ihr
statt. Adelige und Herrscher ritten mit würdevollen Gesichtern einem
gigantischen Eber nach, der bereits wie ein Nadelkissen von Speeren
durchbohrt war. Im Hintergrund, stach eine Stadt scharf aus der
Landschaft vor. Jana schloss die Augen und lauschte ihrem eigenen
Atem. Durch die offenen Fenster kamen leise Geräüsche aus
Jehringen. Das Klappern von Karren, das geschäftige Rufen der
Händler auf dem Sonntagsmarkt. Kirchglocken waren zu hören, sie
schlugen vier, nein, fünf mal. Ein paar Kinderrufe erklangen für
eine Weile und verschwammen wieder mit dem Brummen der Stadt.
Jana
musste eingeschlafen sein, das Zufallen einer Tür lies sie
hochschrecken. Der junge Begleiter Joseph von Wolkensteins stand im
Raum. Er hatte seinen Talar abgelegt und trug eine militärisch
anmutende, schwarze Uniform. Seine Wangen waren gerötet, als hätte
er angestrengt gearbeitet. In dem dunklen Prüfungszimmer und mit dem
weiten Talar hatte Jana ihn für vierzig gehalten, nun musste sie
zugeben, dass er kaum älter als dreißig Jahre sein konnte. Torben
hatte sich nicht vom Fenster wegbewegt und musterte den Juror
interessiert. "Herr Horge hat uns schon verlassen, wie ich
sehe," stellte der Mann sachlich fest und pausierte kurz.
"Torben zu Furchengrundt, es wird Sie freuen, dass das Komitee
mehr von ihnen hören will, fühlen Sie sich frei wieder zurück in
den Raum zu gehen. Fräulein Hohenfels, würden Sie bitte mit mir
kommen?" Jana schluckte schwer und sah zu Boden. Sie spürte ein
schmerzendes Stechen in der Brust, als habe sie etwas wertvolles für
immer verloren. Mit ihrem Bruder Friedrich hatte Sie noch am Morgen
gescherzt, dass sie unter lauter Adeligen wohl kaum eine Chance auf
einen Platz an der Akademie haben würden. Sie hatte es sogar
geschafft sich selbst davon zu überzeugen, dass sie auch einen
Fehlschalg ohne weiteres akzeptieren würde. Jetzt stellte sich das
als Lüge heraus. Sie fühlte ihre Augen feucht werden und musste
sich alle Mühe geben nicht vor einem Fremden in Tränen
auszubrechen. Erneut schlug die Tür zu und Jana sah hoch. Torben war
im Prüfungszimmer verschwunden und der Mann betrachtete sie mit
einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. "Ich fürchte Herr
Wolkenstein hat versäumt Ihnen jemand anderen als sich selbst
vorzustellen. Ich bin Martin Bahlen. Für den Lauf der nächsten
Woche bin ich ebenfalls ein Juror für die Aufnahmeprüfungen."
Jana nickte verwirrt. Der Knoten in ihrem Magen machte es unmöglich
für sie ein Wort hervorzubringen, aber die Freundlichkeit Bahlens
hatte eine beruhigende Wirkung. "Mir ist klar, dass es
vermutlich ein schwerer Schlag für Sie ist nicht an die Akademie
gehen zu können" fuhr er fort und bedeutete Jana ihm zu folgen.
"Haben sie sich einmal die Zeit genommen durch die Schlossgärten
zu spazieren? Die Farben der Blätter sind besonders im Herbst sehr
beeindruckend."
Verdutzt
erhob sich Jana. Martin Bahlen hatte den Raum bereits verlassen und
sie musste sich beeilen um wieder anzuschließen. In den vergangenen
Wochen war sie in die Bibliothek und von dort wieder zum Schlosstor
geleitet worden. Das Betreten eines anderen Teil des Schlosses, oder
des Gartens, war ihr jedoch verboten worden. Bahlen marschierte
zielstrebig durch die Korridore, als kenne er das Schloss wie seine
Westentasche, dann stieß er eine große Flügeltür auf und trat ins
Freie.
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