Freitag, 15. August 2014

Elemental

Kapitel 2 - Teil 2

Die Fenster im Vorzimmer waren geöffnet worden und ein sanfter Luftzug fuhr in Janas Haare als sie aus dem Prüfungsraum trat. Torben hatte sich an eines der Fenster gestellt und schien mit mäßigem Interesse die Wiese vor dem Schloss zu betrachten. Die Sonne stand noch hoch am Himmel, es würde wohl noch ein paar Stunden bis zum Sonnenuntergang dauern. Horge war verschwunden. Er hatte sich beeilt den Prüfungsraum vor den anderen zu verlassen und war nirgends zu sehen.
 Jana setzte sich auf einen der bereitgestellten Stühle und legte den Kopf in den Nacken. Eine wilde Jagt fand auf der Deckenmalerei über ihr statt. Adelige und Herrscher ritten mit würdevollen Gesichtern einem gigantischen Eber nach, der bereits wie ein Nadelkissen von Speeren durchbohrt war. Im Hintergrund, stach eine Stadt scharf aus der Landschaft vor. Jana schloss die Augen und lauschte ihrem eigenen Atem. Durch die offenen Fenster kamen leise Geräüsche aus Jehringen. Das Klappern von Karren, das geschäftige Rufen der Händler auf dem Sonntagsmarkt. Kirchglocken waren zu hören, sie schlugen vier, nein, fünf mal. Ein paar Kinderrufe erklangen für eine Weile und verschwammen wieder mit dem Brummen der Stadt.
 Jana musste eingeschlafen sein, das Zufallen einer Tür lies sie hochschrecken. Der junge Begleiter Joseph von Wolkensteins stand im Raum. Er hatte seinen Talar abgelegt und trug eine militärisch anmutende, schwarze Uniform. Seine Wangen waren gerötet, als hätte er angestrengt gearbeitet. In dem dunklen Prüfungszimmer und mit dem weiten Talar hatte Jana ihn für vierzig gehalten, nun musste sie zugeben, dass er kaum älter als dreißig Jahre sein konnte. Torben hatte sich nicht vom Fenster wegbewegt und musterte den Juror interessiert. "Herr Horge hat uns schon verlassen, wie ich sehe," stellte der Mann sachlich fest und pausierte kurz. "Torben zu Furchengrundt, es wird Sie freuen, dass das Komitee mehr von ihnen hören will, fühlen Sie sich frei wieder zurück in den Raum zu gehen. Fräulein Hohenfels, würden Sie bitte mit mir kommen?" Jana schluckte schwer und sah zu Boden. Sie spürte ein schmerzendes Stechen in der Brust, als habe sie etwas wertvolles für immer verloren. Mit ihrem Bruder Friedrich hatte Sie noch am Morgen gescherzt, dass sie unter lauter Adeligen wohl kaum eine Chance auf einen Platz an der Akademie haben würden. Sie hatte es sogar geschafft sich selbst davon zu überzeugen, dass sie auch einen Fehlschalg ohne weiteres akzeptieren würde. Jetzt stellte sich das als Lüge heraus. Sie fühlte ihre Augen feucht werden und musste sich alle Mühe geben nicht vor einem Fremden in Tränen auszubrechen. Erneut schlug die Tür zu und Jana sah hoch. Torben war im Prüfungszimmer verschwunden und der Mann betrachtete sie mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. "Ich fürchte Herr Wolkenstein hat versäumt Ihnen jemand anderen als sich selbst vorzustellen. Ich bin Martin Bahlen. Für den Lauf der nächsten Woche bin ich ebenfalls ein Juror für die Aufnahmeprüfungen." 
 Jana nickte verwirrt. Der Knoten in ihrem Magen machte es unmöglich für sie ein Wort hervorzubringen, aber die Freundlichkeit Bahlens hatte eine beruhigende Wirkung. "Mir ist klar, dass es vermutlich ein schwerer Schlag für Sie ist nicht an die Akademie gehen zu können" fuhr er fort und bedeutete Jana ihm zu folgen. "Haben sie sich einmal die Zeit genommen durch die Schlossgärten zu spazieren? Die Farben der Blätter sind besonders im Herbst sehr beeindruckend."
 Verdutzt erhob sich Jana. Martin Bahlen hatte den Raum bereits verlassen und sie musste sich beeilen um wieder anzuschließen. In den vergangenen Wochen war sie in die Bibliothek und von dort wieder zum Schlosstor geleitet worden. Das Betreten eines anderen Teil des Schlosses, oder des Gartens, war ihr jedoch verboten worden. Bahlen marschierte zielstrebig durch die Korridore, als kenne er das Schloss wie seine Westentasche, dann stieß er eine große Flügeltür auf und trat ins Freie.

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